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Normung und Standardisierung als strategische Option im Innovationsprozess

DIN Deutsches Institut für Normung e.V.

DIN Deutsches Institut für Normung e.V.

Nucleus Jena ist ein aktiver Partner im Innovationsprozess. Wir unterstützen durch die Identifikation von Innovationspotentialen und begleiten die Beteiligten mit speziell angepassten Formaten und Beiträgen. Wir fördern den Wissens- und Technologietransfer mit passenden Verwertungsstrategien, um Innovationen in die Gesellschaft zu tragen. Doch was hat das alles mit Normung und Standardisierung zu tun? Stehen Normung und Standardisierung nicht im Widerspruch zu Innovationen? Wie passen Neues und Genormtes zusammen? Dies klären wir in diesem Blogbeitrag.

Norm

Eine Norm ist ein Dokument und enthält Festlegungen. Diese Festlegungen sind allgemeingültig und anerkannt und können sich auf technische Sachverhalte beziehen oder Dienstleistungen betreffen. Normen regeln gewisse Dinge, die für eine allgemeine und wiederkehrende Anwendung vorgesehen sind.

Wenn dem so ist, dann muss es auch eine Institution, einen Regelsetzer, geben, der gewährleistet, dass die Inhalte von Normen diesen Anforderungen entsprechen und dass bei der Erstellung von Normen bestimmte Regeln eingehalten wurden. Eine Norm ist nach DIN EN 45020 nur dann eine Norm, wenn sie

  • von einer anerkannten Institution,
  • nach einem vorher festgelegten und für die Allgemeinheit transparenten Verfahren aufgestellt wurde,
  • alle vom Inhalt der Norm betroffenen Personenkreise bei der Erstellung der Norm beteiligt wurden und
  • die Inhalte der Norm im Konsens verabschiedet und damit anerkannt wurden.

Das sind hohe Anforderungen an ein solches Dokument und das macht deutlich, dass eine Norm nur am Ende des Innovationsprozesses stehen kann, nämlich dann, wenn die Innovation im Markt bzw. in der Gesellschaft angekommen ist und alle betroffenen Personenkreise beteiligt werden konnten.

Standard

Eine Norm ist ein Standard, aber nicht jeder Standard ist eine Norm. An einen Standard werden nicht die gleichen Anforderungen gestellt, wie an eine Norm. Bei der Erstellung von Standards werden i.d.R. nicht alle betroffenen Personenkreise beteiligt. Ebenfalls wird die Öffentlichkeit nicht in gleichem Maße an der Erstellung beteiligt, weshalb bei einem Standard Abstriche gemacht werden, was die breite Anerkennung und Akzeptanz der Inhalte betrifft. Standards sind oftmals Vorläufer von Normen, in welchen Festlegungen getroffen werden, um etwas Neues zu definieren, damit andere später darauf aufbauen oder mit ihren Produkten daran anknüpfen können. Standards haben somit das Potential, die Akzeptanz von Innovationen im Markt, deren Etablierung nachhaltig zu unterstützen.

Klassifizierung

Die Begriffe Norm und Standard werden in der Praxis oft nicht unterschieden, was in Bezug auf die Allgemeingültigkeit der Festlegungen missverständlich sein kann. Was wird alles in Normen und Standards festgelegt und welche Typen von lassen sich unterscheiden? Die nachfolgende Auflistung dient als Beispiel und stellt keine vollständige Klassifikation dar:

  • Terminologie: In Terminologienormen, wird genau definiert, was unter einem bestimmten Begriff zu verstehen ist, bspw. VDI 2552 Blatt 2 Building Information Modeling – Begriffe
  • Produktnorm: Welche Eigenschaften muss ein Produkt aufweisen bzw. zu welchen Eigenschaften muss der Hersteller Angaben machen, wenn er ein bestimmtes Produkt auf dem Markt anbieten will, bspw. DIN EN 771-1 Festlegungen für Mauersteine – Teil 1: Mauerziegel
  • Prüfnorm: In Prüfnormen werden Prüfverfahren beschrieben, deren Anwendung die Vergleichbarkeit von Prüfergebnissen erlaubt, bspw. Prüfverfahren für Mauersteine in DIN EN 772-1
  • Bemessungsnorm: Enthält Berechnungsverfahren, um nachzuweisen, dass eine Beanspruchung aufgenommen werden kann, bspw. Bemessung von Mauerwerk in DIN EN 1996
  • Schnittstellennormen: Regeln die Beschaffenheit von (Teil-) Systemgrenzen, damit unterschiedliche Komponenten zu einem Gesamtsystem ergänzt werden können, bspw. im Bereich von Lichtwellenleitern DIN EN 61756-1

Regelsetzer

In Deutschland gibt es eine Vielzahl von Regelsetzern, die Normung und Standardisierung betreiben. Die Begriffe beschreiben dabei die Prozesse die ablaufen, um im Ergebnis Normen und Standards bereitzustellen. Einer der bekanntesten Regelsetzer in Deutschland und auch die Institution, die Deutschland in der europäischen und internationalen Normung bei CEN und ISO vertritt, ist DIN, das Deutsche Institut für Normung e.V. Neben Normen und Spezifikationen von DIN gibt es Richtlinien vom Verein Deutscher Ingenieure e.V., sog. VDI-Richtlinien, oder Richtlinien von Branchenausschüssen, wie bspw. dem Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE) oder dem Deutschen Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb).

Muss ich mich an die Regeln halten?

Grundsätzlich sind Normen und Standards in ihrer Anwendung freiwillig. Es handelt sich um Empfehlungen, die eingehalten werden können, um ein bestimmtes Leistungsniveau zu gewährleisten. Sie sollen die Zusammenarbeit von Beteiligten erleichtern, da sie Festlegungen enthalten, die sonst individuell immer neu gefasst werden müssten. Sie stellen also ein Produkt der Selbstverwaltung der Wirtschaft dar. Die Wirtschaft selbst finanziert die Normungsprozesse durch ihre Beteiligung und stellt Wissen und Expertise bereit, um Sachverhalte normativ festzulegen. Im Rahmen der Vertragsfreiheit können Sie höhere oder niedrigere Anforderungen mit Vertragspartnern festlegen.

Wichtig zu wissen ist jedoch, dass es gute Praxis der Gesetzgebung ist, auf Normen und Standards in Gesetzen zu referenzieren. Dies erleichtert die Gesetzgebung ungemein und führt in der Praxis dazu, dass Sie, wenn Sie sich an geltendes Recht halten, automatisch auch an bestimmte Normen und Standards halten müssen. Im Rahmen der Fürsorgepflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern legt die Gesetzgebung bspw. fest, wie sicher Gebäude in Deutschland gebaut sein müssen, um Beanspruchungen standhalten zu können und verweist dabei im Gesetz auf die betreffenden Ausgaben der einschlägigen Bemessungsnormen.

Strategische Optionen

Nachdem wir nun wissen, was Normung und Standardisierung ist, können wir überlegen, ob Normung und Standardisierung im Innovationsprozess eine Option darstellt oder nicht. Diese Frage ist jedoch nicht allgemein zu beantworten, sondern unterscheidet sich von Fall zu Fall. Nachfolgende Aufzählung gibt an, welcher Mehrwert durch Normen und Standards generiert wird bzw. welche Bereiche des Innovationsprozesses von Normung und Standardisierung angesprochen werden:

  • Terminologie festlegen (Grundlagenforschung)
  • Vergleichbarkeit non Forschungsergebnissen herstellen (Grundlagenforschung)
  • Prüf- und Messmethoden definieren (Grundlagenforschung, Angewandte Forschung)
  • Schnittstellen definieren (Angewandte Forschung)
  • Interoperabilität und Kompatibilität herstellen (Angewandte Forschung)
  • Fertigungskosten durch Modularisierung reduzieren (Produktentwicklung)
  • Nutzen stiften (Technologietransfer und Impact)
  • Refinanzierung sicherstellen (Technologietransfer und Impact)
  • Nachhaltigkeit fördern (Technologietransfer und Impact)

Begrifflichkeiten festzulegen, damit die Wissenschaftsgemeinschaft international effektiv zusammenarbeiten kann, ist sicher ein banales Beispiel. Die Festlegung von Begrifflichkeiten hat aber auch eine direkte Auswirkung auf die Akzeptanz von Innovationen in der Praxis, damit der zukünftige Anwender beispielsweise richtig einschätzen kann, was sich hinter einem neuen Produktfeature verbirgt. Was versteht der Hersteller meines Fahrzeugs denn unter einem „Autopiloten“? Der Wissenschaftler, der die Technologie entwickelt hat, kenn die Grenzen der Leistungsfähigkeit genau, der spätere Anwender jedoch nicht.

Neuartige Werkstoffe erfordern die Erarbeitung von angepassten Prüf- und Messmethoden, um am Markt angewendet werden zu können. Innovationen profitieren auch von verlässlichen Schnittstellendefinitionen, damit am Markt aktive Unternehmen mit eigenen Produkten und Dienstleistungen an die Innovation anknüpfen können. All diese Beispiele verdeutlichen, dass das Thema Normung und Standardisierung entlang des Innovationsprozesses Einfluss auf die spätere Verwertung der Innovation bzw. deren Auswirkung (Impakt) auf die Gesellschaft haben kann. Deshalb lohnt es sich bereits in der Wissenschaft und als Startup sich mit den Potentialen von Normung und Standardisierung auseinanderzusetzen und frühzeitig die Weichen für eine spätere Nutzung von Innovationen in der Gesellschaft zu stellen.

Praxisbeispiele

Mindpeak und ein Standard für Künstliche Intelligenz“ lautete die Überschrift eines Blogbeitrages in dem ein Startup aus Hamburg die Vorteile beschreibt, die es aus der Erarbeitung eines Standards bei DIN gezogen hat. Das junge Unternehmen beschäftigt sich mit KI-gestützter Bilderkennung und erarbeitete den Standard DIN SPEC 13266 „Leitfaden für die Entwicklung von Deep-Learning-Bilderkennungssystemen“. Solche Bildsysteme werden im diagnostischen Bereich, bspw. zur Krebszellenerkennung, eingesetzt, aber auch bei der Bildauswertung optischer Sensoren beim automatisierten Fahren. Das Unternehmen beschreibt die Erarbeitung des genannten KI-Standards als wesentlich für die Erreichung einer Vorreiterrolle im Markt.

Carbonfaserverstärkte Kunststoffe und das zugehörige Prüfverfahren in DIN SPEC 4885 ermöglichten die Überführung der Forschungsergebnisse im Rahmen einer Dissertation in eine Unternehmensausgründung und erfolgreiche Anwendung am Markt.

Unterstützung für die Forschung

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können auf umfangreiche Informations- und Unterstützungsangebote zurückgreifen, die durch die jeweiligen Regelsetzer direkt angeboten werden oder im Austausch mit den Servicezentren für Forschung und Transfer weiterführende Informationen erhalten. Welche Angebote sind vorstellbar:

  • Beratung in Forschungsprojekten zu Fragen der Normung und Standardisierung
  • Unterstützung der Wissenschaft bei der Identifizierung wesentlicher Standardisierungspotentiale basierend auf den Ergebnissen des F&E-Projektes
  • Entwicklung einer Standardisierungsstrategie sowie die Initiierung entsprechender Standardisierungsaktivitäten
  • Förderprogramme, wie bspw. DIN Connect oder WIPANO
  • Übernahme von Normungskosten im Rahmen von ZIM-Projekten (Förderung der Leistungen zur Markteinführung)
  • Zugang zu Normen und Standards über die ThULB

Weitere Informationen zu Themen und Veranstaltungsangeboten aus den Bereichen Forschungsförderung und Transfer finden Sie auf den Seiten der Servicezentren für Forschung und Transfer von EAH und FSU.

Ganz konkret bieten wir am 5.Juli 2023 ab 13:00 eine Veranstaltung an, wo Sie Ihr Wissen über „Normung als strategische Option im Transfer“ vertiefen können. Melden Sie sich gleich an. Wir freuen uns auf Sie!

Schon gewusst? Es gibt auch einen Standard, der die Punkte auflistet, die die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Startups erhöhen: DIN SPEC 91354 „Start-ups – Leitfaden für Technologie und wissensbasierte Gründungen“. Für alle, denen das zu viele Regeln und Einschränkungen sind, sei an dieser Stelle nochmal gesagt, dass die Anwendung von Normen und Standards grundsätzlich freiwillig ist.

Autor: Immo Feine